Durch Forschung, Wagemut und Glück zum Porzellan
August II., Kurfürst von Sachsen und König von Polen, hatte nicht umsonst den Beinamen "der Starke". Manche seiner Landeskinder meinten damit seine Manneskraft, andere die Fähigkeit, mit bloßen Händen Hufeisen zu verbiegen, wieder andere den Willen, nicht nur dem Staat, sondern auch der Natur das Gesetz zu geben: Er wollte nicht nur den legendären Stein der Weisen, "lapis philosophorum", der ewige Jugend versprach. Es sollte auch aus minderen Materialien Gold werden.
Das Silber des Erzgebirges, das von alters her die Bergknappen der Freiberger Gegend dem Berg abgewannen, hatte das Kurfürstentum Sachsen im Reich groß und mächtig gemacht und eine erste industrielle Revolution der Metallurgie hervorgerufen. Aber Silber war nicht genug. Es musste Gold sein. Dies nicht nur zu dem Zweck, sächsische Grenadiere zu löhnen und in ihrer Treue schwankende polnische Granden zu überzeugen, sondern auch, um auf dem europäischen Kunstmarkt jedem Wunsch nachzugeben, Kunstwerke in Gewölben zu horten und meisterliche Bilder in Galerien, den Staatsschatz zu stärken und den Glanz des Monarchen leuchten zu lassen. Dieser liebte es, sich als Apollo zu inszenieren, Gott der Sonne und des Goldes. Gold musste her, und alchemistisches Geheimwissen sollte schaffen, was über alle Jahrhunderte immer versucht und niemals gelungen war. Wer das Arkanum des Goldmachens verstand, der würde keine Sorgen mehr kennen.
Die Alchemisten arbeiteten mit Experimenten, manchmal systematisch als frühe Chemiker, manchmal intuitiv wie Astrologen oder Zauberer, und ob einer mehr Gaukler war oder mehr Wissenschaftler - wer konnte das wissen? Und so ging es auch im Kurstaat Sachsen. Doch dort war die Anstrengung für ein Mal nicht vergebens. Statt Gold allerdings entstand aus jahrelangen Experimenten Porzellan, wie man es bis dahin nur für viel Geld über den langen Seeweg aus dem fernen China hatte beziehen müssen. Niemals war es gelungen, einen der in das Geheimwissen der Porzellanmacher eingeweihten Chinesen abzuwerben und nach Europa zu bringen. In Florenz freilich war man im 16. und 17. Jahrhundert dem Geheimnis des Porzellans auf der Spur gewesen. Aber den mühevollen Produkten der Toskana fehlte es an Härte und Glätte der chinesischen Waren. Auch hatte man offenbar nicht die tonigen Erden, die den unersetzlichen weißen Rohstoff hergaben. So blieb es bei Nachahmungen der chinesischen Wunderwerke, die indessen ihren eigenen Charme entwickelten, ob zu Nürnberg oder Frankfurt, ob zu Durlach in Baden oder Straßburg und Bordeaux. Am nächsten kam dem Porzellan die Delfter Fayence. Doch konnten die Fayencen, weich und fragil und für Hitze nicht geeignet, niemals die Perfektion des chinesischen Produkts erreichen - und schon gar nicht die exorbitanten Preise.
In der Erfindung des Porzellans wie in der Technologie der Massenherstellung kamen unterschiedliche Entwicklungslinien zusammen. Zuerst ein prunkliebender Fürst, der wie ein Besessener Chinaporzellane sammelte: August der Starke. Dann der Geist des fürstlichen Merkantilismus, der auf Marktbeherrschung und positive Handelsbilanzen setzte, speziell für Luxuswaren, und dafür investierte. Weiter ein Wissenschaftler, der systematisch zu analysieren und zu experimentieren wusste und der sich in dem Forscher und Leibniz-Freund Ehrenfried-Walther von Tschirnhaus fand. Dazu ein kecker, neugieriger Wagehals namens Johann Friedrich Böttger, der, Sohn einer weitverzweigten Goldschmiedefamilie und vertraut mit dem modernsten Stand der Technik, die Wette aller Wetten wagte, Gold zu machen. Aber auch Glück, Zufall und genaue Beobachtung spielten hinein: Das rote Böttger-Steinzeug war 1707 Zufallsprodukt der Suche nach hitzebeständigem Material für Brennöfen.
Tschirnhaus war ein Gelehrter am sächsischen Hof, kein Unternehmer. Er hatte China-Porzellan systematisch untersucht und aus seiner Beschaffenheit geschlossen, dass es spezieller Erden bedurfte, die bei großer Hitze ins Fließen kamen und formbar wurden. Also ließ er großformatige Brennspiegel schleifen und erzeugte damit Temperaturen, wie sie vordem nicht zu erreichen waren. Etwa um 1700, so besagt die neuere Forschung, scheint Tschirnhaus der Lösung des Arkanum nahe gekommen zu sein. Denn er vermochte damals den sächsischen Kurfürsten von der Illusion des Goldmachens und der vergeblichen Suche nach dem Stein der Weisen abzubringen und die Aufmerksamkeit Serenissimi auf die systematische Erforschung und Erzeugung von Porzellan zu lenken. Das versprach Glanz für den Hof und Reichtum für das Land.
Zur selben Zeit trat der gelernte Apotheker Johann Friedrich Böttger ins Bild, zunächst allerdings auf einer Nebenbühne. Irgendwie war es ihm im Preußischen gelungen, Silber in Gold zu verwandeln - oder es jedenfalls so aussehen zu lassen. Als der Preußenkönig Friedrich I. davon hörte, ließ er nach dem Goldjungen fahnden. Weil der aber klug genug war, seinen eigenen Gaukeleien zu misstrauen, entzog er sich dem Werben der preußischen Majestät ins nahe Sachsen. Doch dort traf er es kaum besser. Entweder er würde als Betrüger ausgeliefert nach Preußen, und das würde bös enden, oder er musste doch noch Gold schaffen, diesmal für den sächsischen Kurfürsten. Der gab ihm dafür Zeit, aber nicht genug, das Unmögliche möglich zu machen.
Die Chance des begabten jungen Spieler-Forscher-Experimentators lag in der Protektion durch den Baron von Tschirnhaus, der offenbar bei Böttger Erfahrungen und Kombinationen entdeckte, die den Weg zum Porzellan verkürzen konnten. Wer in diesem Verbund von Systematik und Experiment Erfinder des Porzellans war, wird wohl nicht mehr definitiv zu klären sein. Tschirnhaus war kein langes Leben beschieden, er starb schon 1708. Auf seinem Grabstein wird er gerühmt als Erfinder des Porzellans.
Zuvor aber hatte Böttger den Weg gefunden, seinen Hals zu retten. Er setzte einen Brief an den Kurfürsten auf des Inhalts, er wolle "Ihro Majestät Sachen vortragen, welche wahrhaftig von großer Wichtigkeit sind". Um zu beweisen, dass es diesmal nicht um Angeberei ging, erwähnte er den Namen seines Tutors und versprach, er werde "mit Hüllfe des Herrn von Zschürnhausen binnen der Zeit von zwei Monaten ein Großes prästieren". Irgendwann zwischen 1707 und 1710 gelang es dann tatsächlich - die Erfindung des europäischen Porzellans, das von gleichem Glanz und gleicher Härte war wie die begehrte chinesische Ware.
Zunächst allerdings gab es nur rotes und schwarzes Porzellan. Doch brachte die systematische Suche nach weißen Erden in sächsischen Landen zuerst unweit der Festung Colditz und dann in noch besserer Qualität bei Aue die Entdeckung eines an Kaolin reichen Tons. Damit war das Material gefunden, das für die nächsten 150 Jahre erlaubte, das geschätzte weiße Porzellan zu brennen. Auch das Problem der Glasur wurde schließlich gelöst. In der Albrechtsburg in Meißen wurde, da es in Dresden zu eng war, die Manufaktur eingerichtet, die seitdem dem sächsischen Porzellan den Namen gab.
Am 23. Januar 1710 war es dann so weit: In vier Sprachen wurde die Botschaft verkündet, es sei die erste Porzellan-Manufaktur in Europa gegründet. Auf der Leipziger Ostermesse zwei Monate später konnten Kunsthändler, Adel und gehobenes Bürgertum das dunkle Böttger-Steinzeug kaufen. Die weiße Ware indes wurde nur in wenigen Vorausexemplaren ausgestellt, um dem Publikum den Mund wässrig zu machen. Der Verkauf begann erst 1713 - und mit ihm ein Erfolg, der auf Jahrzehnte für alle Konkurrenten uneinholbar war. Meissen hieß Porzellan, und Porzellan hieß Meissen.
Dabei hatte Böttger, dem der Kurfürst nunmehr die Leitung der Manufaktur anvertraute, sein eigenes Marketing-Konzept. Von Anfang an setzte er nicht auf Massenware und Massenmarkt, sondern auf die Prunkliebe der Höfe. Die war nicht nur unempfindlich gegen hohe Preise. Es gab auch den Vorteil, dass "Fürstengut", ähnlich wie heute Diplomatengepäck, durch die zahlreichen Zollgrenzen und Schlagbäume in deutschen Landen nicht inkommodiert wurde. Auch so blieben die Risiken des Transports noch groß genug, die Versicherung teuer und die Finanzierung der kostbaren Lieferungen kompliziert und oftmals ungewiss.
Meissener Porzellan war noch lange nicht für den Tisch des biederen Bürgers bestimmt. Der musste sich statt mit Silber mit Zinngeschirr begnügen, und statt des Porzellans mit der gewohnten Fayence oder mit irdenen Waren aus örtlicher Produktion. Porzellan dagegen wurde von Anfang an in Formen hergestellt, die den kostbaren China-Importen abgeschaut waren oder der Hofkunst von Versailles. Damals kamen mit dem Chinatee auch die Grundformen der Teekanne und der Teetasse, mit dem Kaffee auch die Grundformen der Kaffeekanne nach Europa und wurden allüberall in Silber nachgeahmt. Meissen allerdings lieferte in Porzellan, was keineswegs billiger war, und auch gar nicht billiger sein sollte. Das Gleiche galt für Prunkvasen, die aus dem roten Steinzeug im strengen barocken Klassizismus ausgeformt und nach den Vorlagen des Daniel Marot und Jean Berain durch Gold gehöht wurden. Die Formensprache der Epoche fügte sich einem neuen ästhetischen Code, und Meissener Porzellan übernahm in der Welt der Reichen und Schönen die Führung.
Kein Wunder, dass die Fürsten Europas sogleich alles daransetzten, das Arkanum zu erfahren oder wenigstens einen der Arkanisten zu sich herüberzuziehen. Doch es dauerte lange, bis dergleichen gelang und die Manufakturen in Berlin, Ludwigsburg, Nymphenburg, Fürstenberg, Frankental - um nur die berühmtesten in Deutschland zu nennen - zu ernsthaften Konkurrenten aufstiegen, zumeist zielstrebig gefördert durch die Höfe und deren öffentliche Prachtentfaltung. In Frankreich, wo doch Hof und Aristokratie im demonstrativen Luxus sich von niemandem übertreffen ließen, gelang es trotz der Arbeit langer Jahrzehnte nicht, über das Weichporzellan von Chantilly und Sèvres hinauszukommen zum dauerhaft gebrauchsfähigen Hartporzellan.
Meissen, der Name und der Mythos, hat Kriege und Krisen überstanden quer durch drei Jahrhunderte. Noch immer ist es, am Übergang von Alchemie und Magie zur modernen Technik und Grundlagenforschung, eine Geschichte von Arbeit und Wagemut, von Glück und Forschergeist, von Niedergang und Auferstehung.
von Michael Stürmer (die "Welt" vom 17. Januar 2010)